Barrierefreiheit
Barrierefreiheit kann einerseits als Zustand, andererseits als Prozess aufgefasst werden. Im Sinne eines Zustands ist Barrierefreiheit die Abwesenheit jeglicher Hürden, die es einem Menschen mit einer Einschränkung / Behinderung erschweren oder verunmöglichen:
- Informationen zu beschaffen, wahrzunehmen und zu verstehen,
- technische Geräte und Einrichtungen zu Bedienen und zu handhaben sowie
- Verkehrsräume und Infrastruktur (Gebäude, Plätze, Straßen, Transport- und Verkehrsmittel) aufzufinden und zu nutzen.
Im Sinne eines Prozesses ist Barrierefreiheit ein Vorgang, bei dem für Menschen mit Einschränkungen unter Zuhilfenahme konkreter Bewertungskriterien einerseits bereits existierende Hürden abgebaut, andererseits potentielle zukünftige Hürden vermieden werden, die der Auffindbarkeit, Wahrnehmbarkeit, Bedienbarkeit und Verständlichkeit von Informationen, technischen Einrichtungen, Verkehrsräumen und Dienstleistungen entgegenstehen.
Barrierefreiheit zielt auf Menschen mit Behinderung. Sie unterscheidet sich dadurch vom Ansatz des Design für Alle, der sämtlichen Menschen - unabhängig davon, ob sie mit einer Einschränkung leben oder nicht - den ungehinderten Zugang zu Produkten, Bauten und Dienstleistungen ermöglichen möchte.
„Barrieren“ existieren nicht absolut; sie entstehen im Wechselspiel zwischen den individuellen Fähigkeiten und Einschränkungen einer Person und den vorhandenen Umweltbedingungen: Beispielsweise stellt die Tatsache, dass die Etagenwahlknöpfe in einem Aufzug sehr hoch angebracht sind, für sehbehinderte Menschen keine grundsätzliche Barriere dar, für Menschen im Rollstuhl und kleinwüchsige Personen aber sehr wohl. Wenn andererseits das Bedienpult im Fahrstuhl niedrig positioniert wurde, jedoch mit einem Touchscreen ausgestattet ist, stellt dies blinde Menschen vor große Nutzungsprobleme, kleinwüchsige Personen und Menschen im Rollstuhl jedoch grundsätzlich nicht.
Inhaltsverzeichnis
Juristische und formale Aspekte
Die Begriffsdefinition steht im Gesetz
In §4 des Gesetzes des Bundes zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen (Behinderten-Gleichstellungsgesetz des Bundes, BGG) wird Barrierefreiheit wie folgt definiert:
Barrierefrei sind bauliche und sonstige Anlagen, Verkehrsmittel, technische Gebrauchsgegenstände, Systeme der Informationsverarbeitung, akustische und visuelle Informationsquellen und Kommunikationseinrichtungen sowie andere gestaltete Lebensbereiche, wenn sie für Menschen mit Behinderungen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe auffindbar, zugänglich und nutzbar sind. Hierbei ist die Nutzung behinderungsbedingt notwendiger Hilfsmittel zulässig.
Näheres regeln Verordnungen
Die gesetzliche Barrierefreiheitsdefinition ist absichtlich sehr allgemein gehalten und verzichtet bewusst sowohl auf eine Aufzählung konkreter Barrieren in einzelnen gestalteten Lebensbereichen als auch auf die Festlegung von Methoden und Verfahren, wie diese Barrieren erkannt, bewertet und beseitigt werden sollten. Dies liegt daran, dass technische Gebrauchsgegenstände, Informationsverarbeitungssysteme und Kommunikationseinrichtungen in hohem Tempo weiterentwickelt werden und sich Verkehrsräume, Verkehrsmittel und Gebäude ständig wandeln. Aber auch die zur Überwindung potentieller Barrieren entwickelten Hilfsmittel werden kontinuierlich angepasst und optimiert.
Konkrete Regelungen zu einzelnen Bereichen der Barrierefreiheit sind deshalb in Verordnungen „ausgelagert“. Erlass, Durchsetzung und Kontrolle einer solchen Verordnung obliegt einem im Gesetz festgelegten (Bundes)-Ministerium. Dieses Ministerium ist vom Gesetz her sowohl befugt als auch verpflichtet, die Verordnung in regelmäßigen Abständen auf Wirksamkeit und Aktualität zu prüfen und sie gegebenenfalls anzupassen.
Beispiel: Abschnitt 2a des Bundes-Behindertengleichstellungsgesetzes enthält allgemeine Regelungen zu barrierefreier Informationstechnik öffentlicher Stellen des Bundes. Zur Ausformulierung von Einzelheiten ermächtigt der §12d BGG das Bundesministerium für Soziales dazu, eine entsprechende Verordnung zu erlassen. Diese Verordnung, die den Namen „Verordnung zur Schaffung barrierefreier Informationstechnik nach dem Behindertengleichstellungsgesetz“ (Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung, BITV) trägt, ist seit 2004 in Kraft, wurde im Jahre 2011 als „BITV2.0“ umfangreich aktualisiert und zuletzt im Mai 2019 geändert.
Verordnungen können dynamisch auf Normen verweisen
Verordnungen können - müssen jedoch nicht - sämtliche Details zu den entsprechenden Fragen der Barrierefreiheit enthalten. Um inhaltlich flexibel zu sein, verweisen sie mitunter auf einschlägige Normen und technische Standards.
Beispiel: Die bereits erwähnte Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung (BITV) regelt in ihrer Anlage 2 einerseits die Details zur Bereitstellung von Informationen in Deutscher Gebärdensprache im Internet oder Intranet und legt andererseits genau fest, wie die Bereitstellung von Informationen in Leichter Sprache im Internet oder Intranet erfolgen muss. Die in früheren Fassungen noch enthaltene Anlage 1 formulierte konkrete Anforderungen und Bedingungen, nach denen Intra- und Internetseiten barrierefrei gestaltet werden sollten. Diese Anlage existiert in der aktuellen Fassung der BITV jedoch nicht mehr. Sie wurde ersetzt durch einen Verweis auf „harmonisierte Normen“, die im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht worden sind. Eine harmonisierte Norm, die diese Anforderungen erfüllt ist eine Beschaffungsnorm mit dem Namen „Barrierefreiheitsanforderungen, geeignet für die öffentliche Beschaffung von IKT-Produkten und -Diensten in Europa“ (DIN EN 301 549). Die aktuell gültige Version 2.1.2 der DIN EN 301 549 liegt momentan unter dem Titel „Accessibility requirements for ICT products and services“ nur in englischer Sprache vor und wird derzeit erneut überarbeitet.
Details sind in technischen Standards festgeschrieben
Wenn in Normen Detaillierte Barrierefreiheitskriterien aufgelistet sind, orientieren diese sich nicht selten an international gültigen technischen Standards.
Beispiel: Die bereits erwähnte europäische Beschaffungsnorm EN 301 549 enthält detaillierte Gestaltungsrichtlinien für barrierefreie Hardware, Software, Dokumente und Webseiten. Diese sind jedoch nicht speziell für diese Norm formuliert, sondern weitestgehend den Richtlinien für barrierefreie Webinhalte entnommen. Dieses international anerkannten Dokument ist derzeit in seiner aktuellen Version 2.1 unter dem Titel „Web Content Accessibility Guidelines (WCAG)“ nur in englischer Sprache verfügbar.
Die Aktualisierung eines technischen Standards wie der WCAG ist oft der Anlass dafür, Normen wie die EN 301 549 zu überarbeiten.
Internationales Recht motiviert gesetzliche Regelungen
In jüngerer Zeit werden immer mehr Regelungen hinsichtlich der Barrierefreiheit auf europäischer Ebene getroffen. Dies hat zum Einen behindertenpolitische Auswirkungen, weil eine Vielzahl betroffener Personen von neuartigen Regelungen profitieren kann; zum Anderen stehen hinter den getroffenen Vereinbarungen auch wirtschaftliche Überlegungen, denn nur in einem gesamteuropäischen Binnenmarkt, in dem einheitliche Regelungen zur Barrierefreiheit gelten, lassen sich Waren und Dienstleistungen, an die Barrierefreiheitsanforderungen gestellt werden, ungehindert verkaufen.
Prominentes Beispiel für weitreichende Auswirkungen des europäischen Rechts ist die am 26.10.2016 Verabschiedete EU-Richtlinie über den barrierefreien Zugang zu den Websites und mobilen Anwendungen öffentlicher Stellen (Richtlinie 2016/2102). EU-Richtlinien müssen von den Einzelstaaten bis zu einem vorgegebenen Stichtag in nationales Recht umgesetzt werden. Danach gelten Übergangsfristen, bis wann die unter den Geltungsbereich fallenden Inhalte barrierefrei umzusetzen sind.
Die Richtlinie 2016/2102 trat in Deutschland im Juli 2018 in Kraft. Hierzu musste das oben bereits erwähnte Behindertengleichstellungsgesetz geändert werden. Eine weitere EU-Richtlinie, die bis Juni 2022 in nationales Recht umzusetzen ist, ist der europäische Barrierefreiheits-Akt (Richtlinie EU 2019/882).
Zusammenfassung
Durch vielfältige juristische Verweisungen sind Gesetze, Verordnungen, Normen und technische Standards auf komplexe Art voneinander abhängig. Ohne gezielte Einarbeitung ist es schwer, den Bereich offizieller Regelungen zur Barrierefreiheit zu durchdringen.
Barrierefreiheit für blinde und sehbehinderte Menschen
Mobilität und Information gehören zu den wichtigsten Aspekten in der modernen Gesellschaft. Menschen mit Sehbehinderung oder Blindheit sind von Mobilitätseinschränkungen, vermutlich aber in noch größerem Maße von Einschränkungen bei der Beschaffung und Wahrnehmung von Information betroffen. Dies gilt um so mehr, wenn neben der Sehbeeinträchtigung zusätzlich eine Schwerhörigkeit oder Taubheit vorliegt.
Barrierefreie Umweltgestaltung
Barrieren im Straßenverkehr können vor Allem durch folgende Maßnahmen abgebaut werden:
- Akustische Ampelanlagen,
- Bodenindikatoren,
- dynamische Fahrgastinformationssysteme an Haltestellen, die auf Knopfdruck die nächsten Abfahrten ansagen,
- Außenlautsprecher an Fahrzeugen des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs, die an jeder Haltestelle Linie/Zugnummer und Fahrtrichtung ansagen,
- zweidimensionale Tastpläne und dreidimensionale Tastmodelle wichtiger Bauwerke, insbesondere von Bahnhöfen und Busbahnhöfen,
- elektronische Indoor-Navigationssysteme für öffentliche Gebäude inklusive Bahnhöfe und U-Bahnstationen.
Barrierefreie Informationstechnologie
Hilfsmittel wie Screenreader, Vergrößerungssoftware, Braillezeilen und Brailledrucker ermöglichen sehbehinderten und blinden Menschen den Einsatz moderner IT-Systeme. Diese Hilfsmittel nützen jedoch nur dann, wenn sie von den Betriebssystemen und den Anwendungsprogrammen der eingesetzten IT-Systeme die erforderlichen Informationen über die akustisch und taktil darzustellenden Bildschirminhalte bekommen. Hierzu müssen die genannten Software-Komponenten barrierefrei programmiert sein. Auch müssen Dokumente und Webseiten so gestaltet sein, dass sowohl ihr Inhalt als auch ihre Struktur mit den genannten assistiven Technologien vollständig wahrgenommen und bedient werden kann.
Anforderungen an die barrierefreie Gestaltung von Hardware, Software, von Dokumenten und Webseiten enthält die bereits erwähnte EU-Beschaffungsnorm DIN EN 301 549. Weitere Hinweise zu barrierefreier Software finden sich in der DIN EN ISO 9241-171 - einer Norm mit dem Titel „Ergonomie der Mensch-System-Interaktion – Teil 171: Leitlinien für die Zugänglichkeit von Software“ aus dem Jahr 2008 . Diese ist nicht frei verfügbar, sondern kann käuflich beim Beuth-Verlag erworben werden.
Weitere Informationen
- Unter dem Stichwort Softwareanpassung sind Maßnahmen beschrieben, die ergriffen werden können, wenn Anwendungsprogramme mit Screenreadern und Vergrößerungssoftware nicht kompatibel sind.
- Die Homepage www.barrierefreies-webdesign.de von Jan Hellbusch enthält zahlreiche Hintergrundartikel zu webbezogener barrierefreier Informationstechnik
- Die Webseite des 2018 abgeschlossenen Projekts BIK Für Alle wird weiterhin gepflegt und verfolgt nach wie vor das Ziel, die Vorteile eines barrierefreien Webs in der Öffentlichkeit bekannt zu machen und über Umsetzungsmöglichkeiten zu informieren
- auch die Homepage des 2018 abgeschlossenen Projekts BIT Inklusiv - barrierefreie Informationstechnik für inklusives Arbeiten versammelt viele nützliche Informationen
- die Homepage www.bitvtest.de informiert über zwei Prüfverfahren - den BITV-Test und den WCAG-Test, mit deren Hilfe die formale Barrierefreiheit von Websites getestet werden kann.